Verlassene Orte in Nordrhein-Westfalen

Daniel Boberg: Verlassene Orte in Nordrhein-Westfalen. Die Faszination des Verfalls. Sutton Verlag 2020
Daniel Boberg: Verlassene Orte in Nordrhein-Westfalen. Die Faszination des Verfalls. Sutton Verlag 2020

In unserer schnelllebigen und konsumgeprägten Zeit üben verlassene Orte auf viele Menschen einen starken Reiz aus – erinnern sie uns doch daran, dass alles einmal vergehen muss. Ob Industrieruine, verrammeltes Hotel oder ein teilweise abgebranntes Restaurant: Vergessene Gebäude werden regelmäßig von so genannten Urbexern (von urban explorer, also in etwa "Stadterkunder") aufgesucht und dokumentiert. Oft geschieht das Betreten widerrechtlich und ist aufgrund von möglicherweise morschen Dielenbrettern oder herabfallenden Dachziegeln nicht ungefährlich.

Daniel Boberg ist ein solcher Urbexer. Er bricht regelmäßig zu Ruinen und verschlossenen Gebäuden auf, um sie fotografisch zu dokumentieren. Oft ärgert ihn das Ausmaß der Zerstörung, auf das er trifft. Sein Motto ist: „Nimm nichts mit außer deinen Bildern und hinterlasse nichts außer deinen Fußspuren.“

Schwierige Suche nach verlassenen Orten in NRW

Jetzt ist sein dritter Bildband erschienen, der sich erstmals nur mit verlassenen Orten in Nordrhein-Westfalen beschäftigt. Lost-Places-Bildbände gibt es jedoch mittlerweile zuhauf. Darum erhoffe ich mir von einem Werk, dass sich mit verlassenen Orten in NRW beschäftigt, eine neue Sicht auf unser bevölkerungsreichstes Bundesland. Was erzählen diese traurigen Orte über das Leben hier?

Offenbar leider nicht viel. Boberg selbst schreibt in der Einleitung: "Tatsächlich hätte ich nicht erwartet, dass es in Nordrhein-Westfalen so schwierig ist, schöne verlassene Orte zu finden. Entweder sind sie bereits abgerissen worden oder so stark bewacht, dass ein Betreten unmöglich ist.“ Das erklärt wohl auch, warum die Ergebnisse einer kommerziellen Fototour durch die Zeche Zollverein (Essen, Weltkulturerbe, zwar alt, aber keineswegs verlassen!) mit den Bildband aufgenommen worden sind.

Dabei sind seine Aufnahmen sehr gut und könnten durchweg auch von einem gelernten Fotografen stammen. Boberg hat ein Auge für Details und spielt gekonnt mit Licht und Schatten. Leider geben die Motive nicht viel her: Von einigen abgelichteten Gebäuden, wie dem Güterbahnhof Duisburg, stehen nur noch die Grundmauern, in andere kommt er erst gar nicht hinein und kann nur Außenaufnahmen präsentieren. Von weiteren fehlen so wichtige Elemente wie das Dach, weil es zwischenzeitlich abbrannte. Spuren der einstigen Nutzung sucht man in seinem Bildband darum zumeist vergeblich. Dafür hat der Urbexer abgebildet, was er gefunden hat: Die Spuren neuer, anderweitiger Nutzung: Graffiti und Müll sieht man auf seinen Bildern, herausgerissene Verkleidungen und beschmutzte Treppen. Das ist nicht so romantisch wie die vergessenen Spielzeuge, die man bisweilen auf anderen Bildern sieht. Es gibt keine vergilbten Postkarten und keine Sessel, die wirken, als hätte darauf bis gerade noch jemand gesessen. Und Hinweise darauf, dass wir uns in einem für NRW typsischen Gebäude befinden, sucht man ebenfalls vergebens. Damit ist der großformatige Bildband eher etwas für Freunde alter Industrieanlagen und weniger für Romantiker.


Daniel Boberg: Verlassene Orte in Nordrhein-Westfalen. Die Faszination des Verfalls. Sutton Verlag 2020, 160 Seiten, 29,99 €

 

Mehr zum Buch und einen Blick hinein gibt es auf der Webseite des Verlages.