Die neueste Steampunk-Anthologie des Art Skript Phantastik Verlages führt hoch hinaus - und das ist nur konsequent. Denn neben dampfbetriebenen Gerätschaften auf dem Boden und im Wasser ist wohl keine technische Erfindung so mit dem Genre des Steampunk verknüpft wie das Luftschiff. Stoff genug für zahlreiche Abenteuer bietet das Setting allemal. Und so liegen mit "Aeronautica" alle richtig, denen es nach Action, Komik und Dramatik in Steampunkmanier gelüstet. Aber auch jene, die einfach nur Lust auf gute Unterhaltung oder eine spannende Ferienlektüre haben, können hier zugreifen.
Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein … das denken sich zumindest die Protagonisten in ihren Steampunk-Luftschiffen. 12 Autorinnen und Autoren haben sich phantastische, traumhafte und manchmal auch erschreckende Visionen des Retro-Futurismus aus dem Dampfmaschinenzeitalter ausgedacht und nehmen uns mit auf eine phantastische Reise.
Dabei spielt die Reise im Luftschiff mitunter nur eine geringe Rolle. „Die Wunder der Madame Duret“, die erste der Erzählungen, handelt von einem Schiffbruch in der Wüste. Zwar kommen Luftschiffe am Rande vor, aber die Protagonisten müssen sich vor allem mit den Fehlern und Launen von mechanischen Flugdrachen auseinandersetzen. „Pina Parasol und das verlorene Königreich“ enthält zu viele Alliterationen in der Art der Überschrift, macht die aber mit vielen witzigen Ideen wieder wett. Kostprobe gefällig? Da gibt es den Autor, der erfolglos versucht, seine "Stromantik"-Romane an den Mann zu bringen. Die handeln davon, dass Menschen eine unsichtbare Energie nutzen und mittels mechanischer Tafeln kommunizieren, die sie in der Hosentasche tragen. Kein Wunder, dass der Erzähler diese Ideen als „wahnwitzig“ bezeichnet – wer würde in einem Steampunk-Universium schon an Elektrizität glauben?
„Gargantua“ ist eine spannende, bildgewaltige Geschichte voller Magie. Der Autorin Sarah Stoffers gelingt es nicht zuletzt mit ihrer poetischen Sprache, mühelos in ihre Vision einer alternativen Realität zu entführen. „Elendstal“ schlägt in die gleiche Kerbe und erzählt ebenfalls sehr poetisch von mechanischen Hirschen, Hexerei und einem unfassbaren Erbe mitten im Harz.
„Ins Herz des Sturms“ ist hingegen eher klassisch angelegt und begleitet die letzte Fahrt einer alternden Luftpiratin. „Kurs Nord-Nordzeit“ und „Holt mir den fliegenden Holländer runter!“beschäftigen sich mit den Sorgen und Nöten von Schiffsexpeditionen ins Unbekannte.
Unterhaltsame Urlaubslektüre
Alle Geschichten des Softcover-Bandes sind höchst unterhaltsam und oftmals bis ins kleinste Detail phantasievoll und witzig. Die Erzählungen bilden einen bunten Reigen von verrückten Ideen und Versatzstücken der Realität. Neben Luftschiffen haben auch Bauwerke wie der Eiffelturm, Orte wie der Harz, sagenhafte Schiffe wie der Fliegende Holländer oder bekannte Figuren aus Sagen und Legenden ihren Platz. Und außer den erwartbaren Luftschiffkapitänen bekommen die Leser es mit Menschmaschinen, Kiemenwesen, Geistern, cthulhuiden Monstern und noch allerhand phantastischen Wesenheiten mehr zu tun. Für eine Steampunk-Antholgie kommt diese Vielzahl an Fantasyfiguren nicht überraschend, doch hätte ich mir beim Lesen manchmal gewünscht, dass ein bisschen weniger verschwenderisch damit umgegangen worden wäre. Auf die Frage, warum man es denn ausgerechnet mit Geistern zu tun habe, antwortet eine Figur schlicht, die Irrlichter seien leider gerade aus, und das trifft den Ton der Geschichten sehr gut. Näher auf die Architektur oder Funktionsweise der Luftschiffe geht hingegen keine der Geschichten ein.
Und wo wir gerade bei den Schwachpunkten sind: Das Lektorat hätte an der einen oder anderen Stelle sorgfältiger arbeiten müssen. Was ebenfalls irritiert ist die Tatsache, dass die Autorenbiografien an den Anfang, also vor jede Geschichte gesetzt worden sind statt dahinter oder in einen Anhang, wie es üblich ist. Das mag die Verfasserinnen freuen, irritiert jedoch beim Lesen, weil der Eindruck entsteht, die Autorinnen und Autoren seien wichtiger als ihre Erzählungen.
Die verschiedenen Steampunk-Welten unterscheiden sich teils erheblich voneinander, was beim Lesen mehrerer Geschichten hintereinander manchmal zu Verwirrung führen kann. Da mag es sinnvoll sein, zwischen den Geschichten eine kleine Lesepause einzulegen.
Aber das sind alles Kleinigkeiten. Alles in allem ist die Aeronautica eine vergnügliche und spannende Lektüre, bei der vor allem die phantastischen Einfälle der Autorinnen und Autoren begeistern.
Erfolgreiches Crowdfunding-Projekt
Das Buch ist das erste, das im Art Skript Phantastik Verlag mittels Crowdfunding finanziert wurde. Verlegerin Grit Richter schließt nicht aus, dass es in Zukunft weitere Projekte dieser Art geben wird. Konkrete Pläne hat sie aber noch nicht.
Co-Herausgeberin Jenny Wood erläutert die Vorteile des Crowdfunding so: "Crowdfunding ist eine Möglichkeit, zeitnah an einen bestimmten Betrag zu kommen, um ein Projekt zu realisieren. Gerade Kleinverlage habe einen Veröffentlichungsplan für mehrere Jahre und ein geringes Budget, mit dem sie arbeiten können. Spontane Projekte passen da oft nicht rein, weil keine Kapazitäten da sind. So war es mit der Aeronautica: Die Idee für dieses Projekt kam relativ spontan, hätte aber erst wesentlich später realisiert werden können. Also haben wir nach einer Lösung gesucht, an die finanziellen Mittel zu gelangen, und uns für das Crowdfunding entschieden."
Klingt nach einer richtigen Entscheidung. Das sah zumindest auch die Crowd so, die gerne half, den geforderten Betrag zusammenzubekommen, wie man noch immer auf Startnext sehen kann. Die Unterstützer*innen erhielten ein auf das Buch abgestimmtes Fanpaket, die es so nicht zu kaufen gibt. "Es funktioniert also quasi wie eine Vorbestellung", erläutert Jenny. "Die Unterstützer zahlen und erhalten nach der Produktion ihr gewünschtes Produkt. Sollte das Fundingziel nicht erreicht werden, fließt das Geld zurück an die Unterstützer. So haben sie kein finanzielles Risiko."
Am Ende der Lektüre fragt man sich, ob man da nicht noch die eine oder andere Geschichte mehr in den Band hätte aufnehmen können. Die Lektüre macht nämlich definitiv Lust auf mehr Abenteuer in den Wolken.
Aeronautica ist im Art Skript Phantastik Verlag erschienen und überall erhältlich, wo es Bücher gibt.
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