Wisborg: The Tragedy of Seconds Gone

Das Jahr 2018 ist zwar bereits Geschichte, aber einiges, was im vergangenen Jahr das Licht der Welt erblickte, sollte unbedingt auch noch im neuen Jahr im Gespräch bleiben. Darum veröffentlicht NRW Alternativ in den kommenden Wochen noch Rezensionen zu drei Werken aus dem Jahr 2018. Den Anfang machen die Düsterrocker von Wisborg, deren Debüt „The Tragedy of Seconds Gone“ für einiges an Aufsehen gesorgt hat.

Wer bisher keine Gelegenheit hatte, mal in die Musik der Newcomer hineinzuhören, darf das in diesen kalten, grauen Tagen gerne nachholen. Denn was würde besser zum Winter passen als E-Pianoklänge in Moll, langsame Gitarrenriffs und knarzende Elektronik?

 

Dieses Album gemahnt an früherer Zeiten. Mit Wisborg werden Erinnerungen an den Darkwave und Gothic-Rock der späten 80er und frühen 90er Jahre wach. Wüsste man es nicht besser, könnte man meinen, die beiden ansehnlichen Bandmitglieder stammen direkt aus einem Gothic-Casting. Lange Haare, traurige Augen, melancholische Blicke und jede Menge Ausstrahlung. Was braucht es mehr, um auf Anhieb Teenie-Schwarm zu sein? Dazu singen die beiden von unerfüllter Liebe, Verlust und Trauer. Auch der Bandname ist clever gewählt: Wisborg heißt die Stadt, in der Vampir Nosferatu im gleichnamigen Stummfilmklassiker wütet. Dazu gibt es auf dem gelungenen Cover die passende Zwanziger-Jahre Optik. Alles zusammen: beste Voraussetzungen für Szenehits.

Die insgesamt neun Nummern umfassende Scheibe geht gleich mit dem Opener, „Seconds Gone“, in die Vollen. Schnelles Drumming und Gitarrenriffs treffen den Nerv des Gothic Rock. Hier merkt man, dass Sänger Konstantin zuvor auch mal Metaller war. Aber das stört keineswegs, das gibt dem Rock die passende Triebkraft. Beim Gesang wird das Tempo dann heruntergeschraubt. Apropos Gesang: Kontantin Michaelys Stimme ist prägnant, wenngleich ab und zu vielleicht ein wenig zu künstlich. Sein eindrucksvoller Gesang lässt an die Größen des Genres denken – stellenweise entstehen beim Hören unwillkürlich Vergleiche mit Depeche Mode, stellenweise mit Dreadful Shadows oder Deine Lakaien. Es dauert beim ersten Lauschen einige Sekunden, bis man sich an diese Stimme gewöhnt hat. Dann jedoch verbindet sie sich sehr harmonisch mit den Instrumenten.

Wisborg überzeugen auf ganzer Linie

Deutlich ruhiger, ja, regelrecht sphärischer, wird es im folgenden „In the Haze of a Drunken Hour“, während sich „Becoming Caligari“ wieder deutlich treibender und sogar tanzbar präsentiert. Natürlich darf auch dabei die entsprechend düstere Dramatik nicht fehlen. Der nächste Track, „The Sick Rose“, wartet mit einem knarzenden Elektroteppich auf, der direkt aus den 80ern zu kommen scheint. Dazu passt, dass Konstantins Stimme leicht hallt. Interessant ist innerhalb des Songs der Dreh hin zum Gothic-Rock. „Desire“ nimmt dann wieder das Tempo zurück und ergeht sich ganz in Melancholie. Das folgende „Venus in Chains“ ist eine verspielte Mischung zwischen 80er-Elektro und Gothic-Rock, garniert mit den weiblichen Vocals von Kiara Kazumi, der Sängerin von Grausame Töchter. Das nächste Stück, „Temptation & Hesitation“, ist, passend zum Titel, experimenteller als einige andere, behält aber die tragische Note bei, während „Winter Falls“ deutlich ruhiger beginnt, aber zum Ende hin geradezu schwelgerisch mit seinen Harmonien spielt. Das Gesamtkunstwerk endet ruhig und getragen mit dem vom instrumentalen und E-Piano dominierten „Awakening Spring“.

Obwohl Kritiker an der einen oder anderen Stelle des Albums Kleinigkeiten auszusetzen haben, ist bereits nach dem ersten Hördurchgang festzustellen: Wie kaum eine andere Band gelingt es Wisborg bereits mit ihrem Debüt, durch Know-How und Qualität zu überzeugen. Die Tracks sind zwar unterschiedlich, aber alle eingängig, düster und kraftvoll. Bei dieser Scheibe passt einfach alles zusammen: Optik, Inhalt und Melodien. Dazu kommt hörbare Spiel- und Experimentierfreude. Da fragt man sich nur, wann es neues Material von den beiden Hannoveranern gibt – und ob das wirklich noch besser werden kann.

 

www.wisborg-band.com