Es war ein fulminantes Comeback, das Dead Can Dance vor mittlerweile sechs Jahren mit „Anastasis“, dem griechischen Wort für Wiedergeburt, feierten. 16 Jahre nach der Trennung verkündeten die Pioniere ätherischer Weltschmerz-Weltmusik ihre Reunion. Schon das Cover, die Schwarz-Weiß-Aufnahme verwelkender Sonnenblumen, machte damals deutlich, in welche Richtung die Musik auf dem Album ging. Und obwohl die blankpolierte musikalische Ästhetik auf „Anastasis“ nicht allen Fans gefiel, setzte sie doch den eingeschlagenen Weg aus den 80er und 90er Jahren konsequent fort.
Jetzt, sechs Jahre später, gibt es neues Material. Das neunte Studioalbum ist es, erneut trägt es einen griechischen Titel. Das Cover ist so farbenfroh wie nie zuvor, es ziert eine bunte Maske im Anschnitt. Und leider sagt auch dieses Cover bereits viel über die Musik auf der Scheibe aus.
Offizielles Musikvideo zu „The Mountain“ dem wohl besten Stück auf „Dyonysus“:
„Dyonysus“ widmet sich als Konzeptalbum dem berühmten griechischen Gott des Weines, des Feierns, des Rausches. Es ist also per se ein fröhliches Album – und steht damit sämtlichen bisher erschienen Dead Can Dance-Alben thematisch entgegen. „Der Totentanz macht ab jetzt gute Laune“, titelte der musikexpress treffend. Die deutschen Kritiken sind bislang überhaupt eher verhalten. Wer die Band vorher nicht kannte oder ihr Schaffen im düsteren Ethno-Kosmos nicht allzusehr mochte, ist hingegen hör- und lesbar angetan von der neuen Richtung. Alle Fans der bisherigen Klänge, die seit 1981 auf ihre ureigene Weise traumhaft, berührend und oftmals sehr traurig sind, können mit dem Album jedoch kaum etwas anfangen.
Die Stücke auf „Dyonysus“ sind als eine Art Begleitung zur klassischen Geschichte der Gottheit angelegt. Die Tracknamen verraten, was jeweils hörbar gemacht wird. Da geht es bei „Dance Of The Bacchantes" beispielsweise sehr bewegungsfreudig zu, und bei „The Invocation“ wird eine Anrufung deutlich. Es lohnt sich, vor dem Hören noch einmal die Legenden rund um den umtriebigen Zeus-Sohn nachzulesen. Zu Beginn taucht Dyonysus am Strand auf. Man kann die Wellen rauschen hören, ein knarrendes Holzboot anlanden. Trommeln und Schalmeien spielen zum Tanz. Am Ende, wenn der Gott in die Unterwelt hinabsteigt, wird es sphärischer.
Überhaupt, die Naturgeräusche: Da trällern Vögel, blöken Schafe und und summen Bienen. Gemischt mit repetitiven Rhythmen entwickeln sie einen Sog, der auch schon mal unwillkürlich den Kopf im Takt mitnicken lässt. Perry mischt dazu, wie auch schon auf anderen Dead Can Dance-Alben, Synthesizerklänge gekonnt mit traditionellen Instrumenten verschiedener Völker, Zeiten und Kulturen. Exotische Instrumente wie die persische Rahmentrommel Daf oder die slowakische Hirtenflöte Fujara sind zu hören. So weit, so bunt, so gut.
Doch Kritik lässt sich genug üben. Zum einen ist Dyonysus ein sehr kurzes und nur spärlich ausgestattetes Album. Das Werk ist unterteilt in zwei Akte, die insgesamt nur sieben Titel umfassen und über eine gute halbe Stunde Hörzeit nicht hinauskommen. Dennoch wird dafür der Preis einer regulären CD fällig. Zum anderen taucht in Akt I im Gegensatz zu anderen Werken der Künstler überhaupt zunächst überhaupt kein Gesang auf, in Akt II nur am Rande. Und wer immer dachte, Dead Can Dance wären ein Duo, bestehend aus Brendan Perry und Lisa Gerrard, der wird beim Hören eines besseren belehrt. Während Perry sich bei Dyonysus nämlich von der Konzeption, Musik und auch dem Plattendesign bis zur Coverfotografie (also so ziemlich alles) verantwortlich zeichnet, ist der traumhafte Gesang Gerrards nur am Rande zu hören. Man hat den Eindruck, sie schwebe gemeinsam mit dem bulgarischen Frauenchor, mit dem sie zuletzt ein eigenes Album aufgenommen hat, nur mal kurz vorbei, um Hallo zu sagen.
Um Missverständnissen vorzubeugen: „Dyonysus“ ist kein schlechtes Album. Sound und Produktion sind hervorragend, die Arrangements sinnvoll verwoben, das Hörerlebnis garantiert. All jene, die bisher nur wenig Zugang zu der dunklen Weltmusik von Dead Can Dance hatten, sollten in das sphärische, eingängige, bunte Gesamtkunstwerk wirklich einmal hineinhören. Aber „Dyonysus“ ist durch das Fehlen jeglicher Traurigkeit und Melancholie schlicht und einfach kein Dead Can Dance-Album. Hier hat Perry sein eigenes Ding durchgezogen. Für alle Fans der klassisch-romantischen Arrangements aus den 80er und 90er Jahren ist das ein herber Verlust.
Mehr Infos zur Band, Musik und zur Tour 2019 gibt es auf der offiziellen Bandseite.