Wir schreiben den 31. Juli 2016 anno domini. Vier tapfere Recken haben sich aufgemacht, das Mittelalterlich Phantasie Spectaculum (MPS) in Köln zu besuchen ....
So könnte diese Geschichte anfangen. Muss sie aber auch nicht. Denn ganz egal, ob (pseudo-) mittelalterlich oder nicht, auf dem MPS findet sich jeder wieder, der einen Hang zum Alternativen und zum Besonderen hat. "Sei, was Du willst" lässt Veranstalter Gisbert Hiller auf Merchandise-T-Shirts drucken, und so oft, wie mir dieser Spruch an dem Tag auf diversen Rücken begegnet, müssen sich sehr viele Menschen darin wiederfinden.
Merchandise? Für einen Mittelaltermarkt? Ja, natürlich! Denn das MPS ist, das wird bereits beim Betreten des Veranstaltungsgeländes klar, mehr Festival als mittelalterlicher Markt - und es ist ist so riesig und so vielfältig, dass wirklich jeder das finden kann, was er möchte; dass jeder sein kann, wie er möchte. Es geht nicht um Authentizität, sondern um Ambiente. Das MPS gibt es seit 1994, und seither hat das Konzept der reisenden Veranstaltungsreihe diverse Änderungen erfahren. Wir waren zuletzt vor einigen Jahren auf einem MPS und sind gespannt, was uns heute erwartet.
Bereits weit vor dem Gelände weisen neongelbe Schilder (nicht schön, aber praktisch) den Weg zu den Parkplätzen. Am Eingang gibt es nicht eine, sondern vier Kassen, was das Schlangestehen minimiert, und danach werden Taschen kontrolliert. Auf dem Gelände wechseln sich große Notausgangsschilder mit bunten Werbebannern ab. Die riesige Bühne auf dem Parkplatz fällt direkt ins Auge, die in Holzoptik gestalteten Ess- und Trinkstände gehen davor fast unter. Das hier ist gewiss kein gewöhnlicher mittelalterlicher Markt mit einem Gaukler und einer handvoll Schwertkämpfern. Das MPS ist ein ambientig gestaltetes Festival.
Das Wetter ist an diesem Julitag ideal für eine solche Veranstaltung : Bis zu 24 Grad sollen es werden, vielleicht schaut auch mal die Sonne aus den Wolken hervor. Also warm und trocken, aber nicht zu heiß. Dementsprechend ist das weitläufige Veranstaltungsgelände bereits eine halbe Stunde nach Eröffnung gut besucht, überall schlendern Menschen die zahlreichen Stände entlang, schauen den ersten Vorführungen auf einer der vier Bühnen zu oder lassen sich unter den zahlreichen Bäumen nieder, um das bunte Treiben auf sich wirken zu lassen. Und "bunt" ist keinesfalls übertrieben. Ob mittelalterliche Maid, gerüsteter Ritter, Steampunker, LARPer oder oder Festivalgänger mit Jeans und T-Shirt - hier trifft man alle. "Sei, was Du willst" eben.
Die Veranstaltung ist hervorragend organisiert. Nach ersten Orientierungsrundgängen findet man sich schnell zurecht. An das Wohl der Besucher wird gedacht: Ausliegende Strohballen vor den Bühnen bieten bequeme Sitzmöglichkeiten, an vielen Ecken geben Sonnensegel Schutz vor Sonne und Regen. Wir sehen den guten, alten Bagatelli, der das MPS seit der Anfangstagen begleitet und Kerry Balder, die uns mit ihrer Jonglage fesseln. Der Zug der Heerlager verdeutlicht noch einmal das Motto "nicht authentisch, sondern phantastisch": neben Rittern mit Fellen um die Schultern und Turnschuhen an den Füßen finden sich auch Frauen mit Lederkluft und Bemalung im Gesicht, selbsternannte Hexen und sogar eine Gruppe wirklich gruselig aussehender Orks kreuzt unseren Weg. Es ist eine friedliche Mischung von Vorlieben und Interessen, die uns auch an den Ständen erwartet. Von schlichter Keramik, bunter Kleidung über Wahrsage-Dienste und Hau-den-Lukas bis hin zu dekorativen Drachenfiguren findet hier jeder etwas, um den eigenen Bargeldbestand zu mindern.
Ein wenig mehr mittelalterliches Flair kommt auf, als wir uns das Ritterturnier zu Pferde ansehen. Die Männer von Wenzel Ritterspiele können ganz offensichtlich nicht nur mit ihren Pferden umgehen, sondern auch spannende Choreographien entwickeln. Das Turnier unterhält uns alle vorzüglich. Bei der gebotenen Auswahl an Speisen und Getränken finden wir auch anschließend alle genau das richtige für unseren Geschmack. Egal, ob einem der Sinn nach Fleischspieß, Eis, Mandeln, süßem Kuchen oder herzhaften Spätzle steht, ob vegetarisch oder vegan - das MPS macht alleine durch die Vielzahl seiner kulinarischen Stände jedem Food-Truck-Festival Konkurrenz.
Schließlich kommt die Zeit für unseren Drehleier-Workshop. Den haben wir vorab gebucht und separat bezahlt, aber die Extragebühr lohnt sich: Schöne Leihinstrumente und der kundige, motivierte Lehrer Alex Zwingmann machen die ersten Übungen auf dem exotischen Instrument zum Vergnügen. Allen Teilnehmern steht die Begeisterung ins Gesicht geschrieben, viele wollen sich gar nicht mehr vom Instrument trennen. Das, freilich, hat seinen Preis: Ab etwa 1200 Euro lassen sich Drehleiern erstehen, die Preisgrenze nach oben ist offen. Die Instrumente werden in speziellen Werkstätten handgefertigt, eine Massenproduktion gibt es nicht.
Es ist Abend geworden und die Headliner beginnen ihre Auftritte. Wir schauen uns an der Folkbühne die Paganfolker Omnia an. Mittlerweile ist auf dem gesamte Gelände kaum noch ein freies Plätzchen zu finden, alles, was irgendwie Lust auf alternatives Feeling hat, scheint hier versammelt. Dementsprechend voll ist es auch an der Bühne, aber dank dem abschüssigen Gelände lässt sich dem Konzert von überall her gut folgen. Omnia verbreiten gute Laune, machen eine tolle Show und ziehen die Menschen von den ersten Tönen an in ihren Bann. Spätestens jetzt fühle ich mich an das Castlefest erinnert, auf dem Omnia regelmäßig als Headliner auftreten. Sie spielen viele Klassiker wie "I Don't Speak Human", "Witches' Brew" oder das wunderbar verspielte "Toys in the Attic", aber auch Songs ihres neuesten Albums "Prayer", die allesamt tolle Stimmung erzeugen, auch wenn Lieder wie der "Freedom Song" inhaltlich eher zum Nachdenken anregen.
Zum Abschluss feiern wir gutgelaunt mit den Speedfolkern von Fiddler's Green eine große Party. Seit den vielen Jahren, seitdem wir sie zuletzt gesehen haben, sind die Künstler zwar optisch deutlich älter geworden, aber musikalisch gehen sie noch genauso ab wie eh und je. Beim gutgelaunten Tanzen, Springen und Hüpfen zu Irish-Folk-Klassikern und eigenen Songs bildet sich vor der Bühne schnell ein Moshpit. Die Musiker von Fiddlers nehmen die gute Stimmung dankbar auf und heizen sie mit Mitsing-Parts, Klatsch-Choreographien und stimmiger Moderation noch weiter an. Als sie sich zu "Raggle Taggle Gypsi" kurzerhand von der Bühne ins Publikum begegeben, folgt ihnen schnell eine Polonese. Bei "Rocky Road to Dublin" wird die legändere "Wall of Folk" zelebriert, zwischendurch darf sich das gesamte Publikum auch mal ins Gras setzen (nur um dann umso begeisterter kollektiv wieder aufzuspringen) und dann fordern die Musiker dazu auf, sich der Oberbekleidung zu entledigen - einer Einladung, der viele tatsächlich begeistert folgen und dann zur Musik ihre T-Shirts schwenken. Eine tolle Party, die die fidelnden Frohnaturen auf und vor der Bühne gekonnt zelebrieren.
Obwohl auch in Anschluss noch Saltatio Mortis, die Cobblestones, Celtica Pipes Rock und andere auf uns warten, sind wir von dem erlebnisreichen Tag hinreichend müde und verlassen, um viele schöne Erinnerungen reicher, das Gelände.
Wikipedia über das MPS